Traktandum 1

Eröffnung der Landsgemeinde

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Hochgeachteter Herr Landesstatthalter

Hochgeachtete Damen und Herren der administrativen und richterlichen Behörden
Hochvertraute, liebe Mitlandleute

Es ist mir Freude und Ehre zugleich, Sie auf dem Zaunplatz zur diesjährigen Landsgemeinde willkommen zu heissen. Es ist ein Jahr vergangen, seit wir an diesem Ort gemindert und gemehrt haben. Der ewige Kampf zwischen Licht und Finsternis tobte auch während der vergangenen zwölf Monate. Wieder gab es Terroranschläge mit Toten, entsetzliche Naturkatastrophen, Bürgerkriege, Hungersnöte, Verbrechen und andere Ungerechtigkeiten. Es gab aber auch viele positive Nachrichten. In Korea geht es nun plötzlich um Fragen der De-Nuklearisierung und Etablierung eines dauerhaften Friedens und nicht mehr um Scharmützel, wer den grösseren Atomknopf hat. Die Weltwirtschaft befindet sich in einem eigentlichen Wachstumsrausch. Die Arbeitslosigkeit in der Schweiz ist seit Jahresanfang rückläufig und hat im März erstmals seit langem wieder die 3 Prozent-Grenze unterschritten.

Hochvertraute, liebe Mitlandleute
sehr verehrte Gäste

Wir haben allen Grund, mit Zuversicht in die Zukunft zu schauen. Die florierende Wirtschaft hat positive Auswirkungen auf unsere Arbeitsplätze. Wir alle sind uns bewusst, wie wichtig der Erhalt und die Schaffung von Arbeitsplätzen ist. Sie sichern und erhöhen unseren Wohlstand. Manchmal beschleicht uns trotzdem das Gefühl, dass dieser Wohlstand nicht allen zu Gute kommt. Wir nehmen intuitiv war, dass das Leben härter geworden ist und die Ungleichheit zunimmt. Eine Studie der Denkfabrik Avenir Suisse ist dieser Thematik nachgegangen. Die Experten sind anhand von Daten des Bundes zur Schlussfolgerungen gelangt, dass heute jede Generation besser dran ist als jede zuvor. Die Einkommen sind auch NICHT ungleichmässiger verteilt als früher. Gemessen wird das mit dem Gini-Index, einer anerkannten Kennzahl zur Überprüfung einer gerechten Verteilung. Real am stärksten zugelegt hat die unterste Einkommensschicht. Im Durchschnitt über die Jahre sind ihre Einkommen um über 2 Prozent pro Jahr gestiegen. Der Mittelstand verzeichnet ein Einkommenswachstum von unter jährlich 1,5 Prozent. Der ganze Wohlstand kommt also nicht nur den Reichsten in unserem Land zu Gute. Wir müssen dafür sogar weniger arbeiten. Arbeitete 1950 der durchschnittliche Beschäftigte rund 1900 Stunden pro Jahr, sind es knapp 70 Jahre später noch 1570 Stunden. Die Differenz entspricht zehn Wochen zusätzlicher Ferienzeit pro Kopf.

Allerdings sind nicht alle Länder in der gleich komfortablen Lage wie wir. Beispielsweise hat in den USA die Einkommensungleichheit seit den achtziger Jahren dramatisch zugenommen. Wir kennen die Bilder von Obdachlosen aus den amerikanischen Grossstädten, die auf der Strasse leben. Es gibt leider auch bei uns Menschen, die in Armut leben. Zwischen 600'000 und 800'000 Menschen gelten in unserem Land als arm. Rund ein Viertel von ihnen ist erwerbstätig. Die Armut ist in der Mehrzahl aller Fälle glücklicherweise vorübergehender Natur. Sie erinnert uns dennoch daran, dass trotz dem Erfolgsmodell Schweiz bei der Einkommensverteilung die Gerechtigkeitsüberlegungen nicht unter den Tisch gewischt werden dürfen. Wir müssen in unserem Land sicherstellen, dass durch das Steuersystem, die Sozialversicherungen und andere staatliche Transfers weiterhin alle vom steigenden Wohlstand profitieren können, Leistung sich aber auch lohnt. Ein System für nur für Reiche und Privilegierte können wir uns nicht leisten. Eine ungerechte Einkommensverteilung würde unsere Demokratie ganz grundsätzlich in Frage stellen.

Die vergangenen Jahre und Jahrzehnte haben uns zweifelsohne grossen Wohlstand gebracht. Das Bruttoinlandprodukt (BIP) als Indikator der Wirtschaftsleistung hat sich in den letzten 30 Jahren verdoppelt. Die Schweizerinnen und Schweizer gelten als glücklich, gemäss Weltglücksreport der Vereinten Nationen belegt die Schweiz den 5. Rang weltweit. Das Glücksniveau verharrt jedoch auf einem weitgehend stabilen Niveau. Es ist niemals im gleichen Ausmass gestiegen wie das Bruttoinlandprodukt. Die trockenen Daten und Statistiken erinnern ein wenig an König Midas, der die Gabe besass, alles was er berührte, in Gold zu verwandeln mit dem Ergebnis, dass er inmitten sagenhaften Reichtums verhungerte. Obwohl sich die Menge an produzierten Gütern und Dienstleistungen verdoppelt hat und wir somit wesentlich mehr konsumieren können, sind wir kaum glücklicher geworden. Davon zeugt auch, dass der Konsum an Psychopharmaka ständig zugenommen hat – in der Schweiz und weltweit. Diese Pillen sind aber keine Glückstechnologie, wie der LSD-Guru Tim Leary das einmal genannt hat. Sie sind ein Indiz dafür, dass die Wohlstandskrankheiten von heute die Armutskrankheiten von früher schon lange in den Schatten stellen.

Die ketzerische Frage steht im Raum, ob denn die zivilisierte Gesellschaft die Seele dem Teufel versprochen und als Gegenleistung Wohlstand, Fortschritt und Vergnügen erhalten hat? Das ist das grosse Thema von Goethes Faust. Ein Pakt mit den Mächten der Finsternis  als Gegenleistung für Sachen, von denen man in früheren Zeiten nur träumen konnte. Eine Welt jenseits der Plackerei, des Kummers, der Armut, wie es sich in früheren Jahrhunderten verhielt, wer strebt nicht danach? Zeitgenössische Denker sagen als Kontrast seit Langem, dass Wirtschaftswachstum und Fortschritt nicht glücklich machen können. 1751 schrieb Jean-Jaques Rousseau, dass der Fortschritt der Wissenschaften und Künste nichts zu unserer wahren Glückseligkeit beigetragen habe. Vielmehr habe er Neid, Ehrgeiz und nutzlose Neugier gefördert. Leidenschaften, in deren Natur es liege, dass sie nie ganz oder universell befriedigt werden könnten. Wahres Glück sei das Ergebnis einfacher Vorlieben und ungekünstelter Tugenden. Das Symbol dafür sei das antike Sparta und nicht das moderne Paris.

Wir haben im Sinne von Rousseau allen Grund, glücklich zu sein, da wir die guten Dinge des Lebens besitzen: Zufriedenheit, Humor, Freundschaft, Musse. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass es keine Aufgabe des Bundes, keine Aufgabe des Kantons ist, die Leute glücklich zu machen. So wenig ist die Landsgemeinde ein Glücksgarant. Wir werden auch heute gemeinsam Entscheide fällen, welche nicht alle begeistern werden. Unglücklich werden die Verlierer sein, die mit ihren Anträgen keine Mehrheit finden. Das Volk spricht nicht mit einer Stimme. Es spricht mit der Stimme derer, die Stimmberechtigte genannt werden. Aus der Vielstimmigkeit wird per Stimmabgabe so gut nie wie Einstimmigkeit, aus den vielen beteiligten Willen resultiert nicht ein einziger, sondern ein Mehrheitswille, der politische Gestaltungskraft entfaltet. Es ist eine vox populi und nicht eine vox Dei.

Das ist zugleich der grosse Vorteil unserer Landsgemeinde, um den uns so viele beneiden. Die Stimmberechtigen haben hier nicht nur eine zählbare, sondern auch eine hörbare Stimme. Je stärker die Teilhabe und die Einflussmöglichkeiten auf verbindliche politische Entscheidungsprozesse ausgerichtet sind, desto grösser die Chance, dass der Unverstand abnimmt und sich Sachkunde und Kompromissbereit entwickeln. Minderheiten können sich artikulieren und dank unseren vielfältigen Antragsrechten direkten Einfluss auf Entscheide nehmen. Die Mehrheit entscheidet nicht anonym, sondern unter Abwägung von Argumenten der verschiedenen Stimmen. Wir mindern und mehren. Das macht unsere Landsgemeinde zu einem sagenhaften Juwel der schweizerischen Demokratie.

Hochvertraute, liebe Mitlandleute

Mit der heutigen Landsgemeinde endet eine lange politische Karriere, die ihresgleichen sucht. Regierungsrat Röbi Marti scheidet aus dem Regierungsrat aus. Röbi Marti begann 1978 seine politische Laufbahn im Gemeinderat Riedern, dem er bis zu seiner Wahl in den Regierungsrat angehörte, wobei er den Rat von 1987 bis 1997 präsidierte. Von 1985 bis 1997 war er Mitglied des Landrates, er präsidierte diesen im Legislaturjahr 1995 bis 1996. 1997 wurde er in den Regierungsrat gewählt, selbstverständlich präsidierte er auch diesen – und das nicht weniger als drei Mal: 2006 bis 2008, 2010 bis 2012 und 2014 bis 2016, wahrlich eine aussergewöhnliche Leistung. Er stand drei Direktionen vor, zuerst der Sanitäts- und Fürsorgedirektion, dann dem Departement Sicherheit und Justiz und schliesslich dem Departement Bau und Umwelt. Seine Fussabdrücke, die er hinterlässt, sind sehr gross: das Kantonsspital wurde einer Gesamtsanierung unterzogen, das Pumpspeicherwerk Linth-Limmern gebaut und eröffnet, der Halbstundentakt im öffentlichen Verkehr eingeführt – um nur ein paar Meilensteine zu nennen. Kollege Röbi Marti hat sich während 40 Jahren (40!) für Land und Volk von Glarus mit enormen Engagement und grossem Herz eingesetzt. Seine umgängliche und humorvolle Art begeisterte uns alle. Kollege Röbi, wir danken Dir für Dein 40-jähriges Wirken in der Politik ganz herzlich und wünschen Dir für die Zukunft alles Gute.

Abschied ist auch immer ein Neuanfang. Wir begrüssen im Regierungsrat ganz herzlich Kaspar Becker und freuen uns auf die Zusammenarbeit mit unserem neuen Kollegen.

Ich gebe in ein paar Minuten das Landesschwert an meinen Nachfolger weiter. Ich bedanke mich für Ihr Vertrauen und Wohlwollen sowie ihre Nachsicht, falls ich einmal ihre Geduld strapaziert haben sollte.

Lassen Sie uns jetzt raten, mindern und mehren. In Freiheit und Verantwortung. Ich bitte für Land und Volk von Glarus um den Machtschutz Gottes und erkläre die Landsgemeinde 2018 als eröffnet.