Traktandum 1

Eröffnung der Landsgemeinde

Rolf Widmer

 

 


Landammann Rolf Widmer eröffnet die Landsgemeinde:

Hochgeachteter Herr Landesstatthalter

Hochgeachtete Damen und Herren der administrativen und richterlichen Behörden

Hochvertraute, liebe Mitlandleute

Es ist mir Freude und Ehre zugleich, Sie auf dem Zaunplatz zur diesjährigen Landsgemeinde willkommen zu heissen. Wir beraten heute 10 Geschäfte im Ring, genau gleich viele wie vor einem Jahr – und bei nahezu identischem Wohlfühlwetter. Dennoch ist vieles anders als vor einem Jahr. Amerika hat einen neuen Präsidenten gewählt, die Engländer haben sich für einen Austritt aus der Europäischen Union entschieden, der Krieg in Syrien bringt mit Einsatz von Giftgas oder Angriffen auf flüchtende Kinder unermessliches Leid und der Terror ist mit den Anschlägen in Nizza, Berlin, London oder Stockholm leider in Europa angekommen.

Die weltweiten Ereignisse wecken in uns gemischte Gefühle. Wir sind Sicherheit und Frieden gewohnt, Stabilität ist für uns ein besonders wichtiges Anliegen. Gemäss einer repräsentativen Umfrage bezeichnet die Bevölkerung „Sicherheit und Frieden“, „Neutralität“ sowie „Landschaft“ als Hauptmerkmale der Schweiz.  „Sicherheit und Frieden“ wird von den Schweizerinnen und Schweizer als wichtigstes Charakteristikum unseres Landes genannt.

Die subjektive Einschätzung wird erhärtet durch die Weltkarte der Stabilität. Stabile Länder sind gemäss dem political stability-Index der Weltbank kleine Staaten: Schweiz, Liechtenstein, Singapur, Neuseeland oder Barbados. Auffallend ist im weiteren, dass Stabilität immer mit Wohlstand einhergeht. Länder mit Rechtsicherheit, Eigentumsgarantie oder Konstanz in der Regierung resp. dem politischen System sind wohlhabend – unabhängig vom Kontinent. Dies könnte zur Schlussfolgerung verleiten: Stabilität können wir selber beeinflussen.

„Politik ist Schicksal“ hat angeblich Napoleon zu Goethe gesagt, als sie sich 1808 in Erfurt begegneten. Die weltweiten Ereignisse könnten Napoleon Recht geben, was unweigerlich zur Frage führt: sind etwa demokratische Systeme gar kein Garant für Stabilität, Sicherheit und Frieden? Nun, die Amerikanerinnen und Amerikaner haben ihren Präsidenten selber gewählt. Führen seine Handlungen, Äusserungen oder Tweets zu Unsicherheit, ist letztendlich auch das Kollektiv mit seinem demokratischen Entscheid in der Verantwortung. Die Verunsicherung in England hinsichtlich wirtschaftlicher Folgen des Brexits auf Arbeitslosigkeit und Wachstum gehen zurück auf einen Volksentscheid.

Man hat den Eindruck, dass in westlichen Demokratien die unerwarteten Wahlentscheidungen wegen der Unzufriedenheit vieler Bürgerinnen und Bürger zunehmen. Wut ist ein schlechter Ratgeber für Wahlentscheide. Besondere Herausforderungen ergeben sich dabei in Systemen mit einer repräsentativen Demokratie. Gute Erfahrungen mit Persönlichkeiten, die extreme Positionen vertreten, halten sich in Grenzen. So erwecken die Präsidenten der USA und Nordkorea nicht den Eindruck, als würden sie Belange der internationalen Staatengemeinschaft höher gewichten als rein nationalistische oder gar persönliche Interessen. Die Vergangenheit zeigt aber auch: jede Phase der Unsicherheit hat irgendwann wieder zu einem Gleichgewicht gefunden: im westfälischen Frieden, am Wiener Kongress oder Mitte des letzten Jahrhunderts in Potsdam.

Hochvertraute, liebe Mitlandleute

sehr verehrte Gäste

Wir müssen uns auf neue Überraschungen und Unsicherheiten einstellen. Eine Erfahrung, die nicht neu ist für uns. Die Schweiz hat die Hypothekarkrise in den achtziger Jahren gemeistert, die strukturelle Wirtschaftskrise der neunziger Jahre bewältigt, die Auswirkungen der globalen Finanzkrise im vergangenen Jahrzehnt weggesteckt und ist auf gutem Weg, die Auswirkungen des Frankenschocks zu absorbieren. Hinzu kamen weitere Probleme mit Waldsterben wegen Borkenkäfer und saurem Regen, das Ozonloch oder das Drogenelend am Platzspitz. Was uns immer ausgezeichnet hat, ist die Tatsache, dass wir die Dinge an die Hand nehmen, die wir selber beeinflussen können.

Was wir in der Vergangenheit nicht gemacht haben und auch in der Zukunft nicht tun sollten, ist „wir zuerst“ rufen. Stellt man eigene Interessen über das Wohl der Gemeinschaft, führt dies letztendlich nur zu erhöhter Unsicherheit. „Wir zuerst“ mag toll klingen, solange dies nicht die Starken tun und wir bei den Schwachen sind. Ein solcher Paradigmawechsel würde die Präambel unserer Bundesverfassung in Frage stellen. Wir haben dort den Grundsatz verankert, dass die Stärke eines Volkes sich am Wohl der Schwachen misst.

Wir sollten uns zurückbesinnen – zum Beispiel an die Antike, wo man die Bedeutung der Freundschaft für Politik und Gesellschaft als sehr wesentlich erachtete. Gemäss Aristoteles besteht wahre Freundschaft dann, wenn jeder das Wohl des anderen als sein eigenes betrachtet und dadurch ein neues, gemeinsames Wohl entsteht. Freundschaft war dabei sowohl persönlich wie auch politisch gemeint. Sie verbindet Mitglieder einer Familie wie die Bürger eines Staates. Freundschaft ist für Staaten das höchste Gut, um Sicherheit und Stabilität zu gewährleisten oder anders formuliert, von Aristoteles‘ Standpunkt ist ein Staat ohne Freundschaft kein Staat.

Solche Worte mögen für unsere Ohren fremd klingen. Wir sind es gewohnt, das Individuum in den Mittelpunkt zu stellen. Der Staat soll das Wohl des Einzelnen maximieren und Freundschaft ist eine rein private Beziehung ohne politische Bedeutung. Aus dem „wir zuerst“ wird ein „ich zuerst“. Dieser Trend der Entsolidarisierung der Gesellschaft durch Individualisierung ist gar nicht im Interesse des Landes Glarus. Glarus ist besonders angewiesen auf diesen Altruismus, den selbstlosen Blick auf die anderen. Ich denke da an aktuelle Diskussionen um den Nationalen Finanzausgleich oder Wasserzinsen. Glarus braucht diese Solidarität, diese Freundschaft im Sinne von Aristoteles.

Hochvertraute, liebe Mitlandleute

Wir gehen mit gutem Beispiel voran. Die Landsgemeinde zeichnet sich dadurch aus, dass man die Verantwortung als Kollektiv wahrnimmt. Das Aufbringen und Abwägen der verschiedenen Argumente impliziert eine Gesamtbetrachtung, die Einzelinteressen haben gegenüber den Gesamtinteressen erfahrungsgemäss einen schweren Stand. Pflegen wir diese Errungenschaft  auch an der diesjährigen Landsgemeinde. Lassen wir uns nicht vom Zeitgeist des vorlauten Individualismus, nicht vom Fokus auf das eigene Bedürfnis vereinnahmen. Ganz im Sinne der 65 Prozent der Bevölkerung, welche in der Umfrage den Egoismus als hauptsächliche Gefährdung der Schweizer Identität nannten.

Bevor wir uns der Behandlung der diesjährigen Landsgemeindegeschäfte zuwenden, wollen wir noch in Dankbarkeit zweier verstorbener Persönlichkeiten gedenken, die sich während Jahrzehnten für das Gemeinwohl von Land und Volk von Glarus engagiert haben.

Am 26. Mai 2016 verstarb alt Landesstatthalter Willy Kamm. Er diente der Öffentlichkeit in vielfältiger Weise. Von 1986 bis 1996 engagierte er sich im Landrat und von 1996 bis 2006 gehörte er dem Regierungsrat an. Auf kommunaler Ebene setzte er sich für die Gemeinde Mühlehorn als Gemeindepräsident von 1983 bis 1996 sowie von 2007 bis 2010 ein. Willy Kamm war ein Vollblutpolitiker, der die Glarner Politik über Jahrzehnte mitgeprägt hat. Er wird uns als grosszügiger, humorvoller und fürsorglicher Mensch in Erinnerung bleiben. Das Land Glarus ist dem volksnahen und umsichtigen Magistraten zu grossem Dank verpflichtet.

Am 14. August 2016 verstarb Doktor Peter Balmer. Peter Balmer wurde an der Landsgemeinde 1987 zum Präsidenten des damals neu geschaffenen Verwaltungsgerichts gewählt. Diese Funktion übte er bis zu seinem altersbedingten Rücktritt im Jahr 2011 aus. Mit grossem juristischem Sachverstand und ausgesprochener Gewissenhaftigkeit hat er das Verwaltungsgericht als tragenden und wichtigen Pfeiler in der Glarner Rechtspflege etabliert. Peter Balmer wird uns als ausgezeichneter Jurist und herzlicher Mensch in Erinnerung bleiben. Das Land Glarus verdankt die grossen Verdienste von Peter Balmer.

Lassen Sie uns jetzt raten, mindern und mehren. In Freiheit und Verantwortung. Ich bitte für Land und Volk von Glarus um den Machtschutz Gottes und erkläre die Landsgemeinde 2017 als eröffnet.