Traktandum 1

Eröffnung der Landsgemeinde

Benjamin Mühlemann

Scheidender Landammann

Hochgeachteter Herr Landesstatthalter
Hochgeachtete Damen und Herren
der administrativen und richterlichen Behörden
Hochvertraute, liebe Mitlandleute

Die direkte Demokratie in der Schweiz ist geprägt von einer Kultur des Dialogs und von der Bereitschaft zum Kompromiss. Seit Jahrhunderten bilden Werte wie diese das stabile Fundament für den gesellschaftlichen Zusammenhalt unserer Eidgenossenschaft sowie für den wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes.

Nichts verkörpert den Geist dieser direkten Demokratie besser als die Glarner Landsgemeinde, die wir Jahr für Jahr am ersten Maisonntag unter freiem Himmel zelebrieren. Hier stehen wir Glarnerinnen und Glarner zusammen und gestalten – in exakt dieser Atmosphäre des konstruktiven Dialogs – gemeinsam unsere Zukunft. Unsere eigene Zukunft, und vor allem auch die Zukunft unserer Kinder. Der Zaunplatz im Herzen von Glarus wird dadurch zum Ort des sozialen Ausgleichs und des Fortschritts.

Sie, meine Damen und Herren, Sie sind es, die diesen Ort und die Institution dank Ihrer Teilhabe mit Inhalt füllen. Und in diesem Sinn freut es mich sehr – und es ehrt mich –, dass ich Sie zur diesjährigen Landsgemeinde begrüssen darf.

 

Zuhören zahlt sich aus

Sich austauschen, einander zuhören, miteinander diskutieren, aufeinander zugehen, gemeinsam abwägen und dann sorgfältig entscheiden. Dafür sind wir heute einmal mehr zusammengekommen. Um das direkt-demokratische Erbe zu pflegen, wie es die Glarnerinnen und Glarner seit Jahrhunderten tun.

Dass sich dies auszahlt, ist ganz offensichtlich: Wir leben in einem solid aufgestellten Kanton in einem der reichsten Länder der Welt. Wir verfügen über eine Lebensqualität, um die man uns im Ausland bewundert, vielleicht sogar beneidet. Vor allem aber geniessen wir hier noch Freiheit und Frieden. Genauer gesagt: Wir erleben Freiheit in Frieden und Frieden in Freiheit.

 

Freiheiten und Wohlstand sind in Gefahr

Gar nicht sehr weit entfernt von uns gilt weder das Eine noch das Andere. Nach dem Terrorangriff der Hamas anfangs Oktober des letzten Jahres ist die Sicherheitslage im Nahen Osten so instabil wie schon lange nicht mehr. Und in der Ukraine scheint das Schlimmste erst noch bevorzustehen. Eine Eroberung des gesamten Landes und ein Vordringen ins Innere von Europa sind für die russischen Kriegstreiber mehr als nur eine Option.

Wir wollen uns die Folgen gar nicht vorstellen, sollten die herrschsüchtigen und machtversessenen Regenten dieser Staaten komplett die Nerven verlieren. Überhaupt wagte noch vor zweieinhalb Jahren kaum jemand daran zu denken, dass wir uns heute mit zwei Kriegen direkt vor unserer Haustüre konfrontiert sehen; dass autoritäre Regimes in Europa auf dem Vormarsch sind; dass unsere Freiheiten und unser Wohlstand in rasantem Tempo in Gefahr geraten.

In der Konsequenz wächst damit unsere Verpflichtung, unsere demokratischen Werte nachdrücklich zu pflegen. Und sie als Land mit grosser humanitärer Tradition auch nach aussen zu tragen. Wer, wenn nicht wir, ist besser in der Lage, auf internationaler Ebene den Dialog zu fördern und für Frieden einzustehen.

 

Kräfte bündeln, Sicherheit priorisieren

Friedensförderung allein genügt allerdings bei weitem nicht. Es wäre fahrlässig, würden wir jetzt nicht auch die Sicherheitspolitik unseres Landes neu denken und unsere Prioritäten verschieben.

Einerseits ist nicht davon auszugehen, dass wir nur aus eigener Kraft für die Sicherheit und Stabilität unseres Landes sorgen können. Stärken wir also die Zusammenarbeit mit all jenen Ländern, die unsere Werte teilen!

Andererseits ist offenkundig, dass unsere Verteidigungsfähigkeit – obwohl sich schon viel bewegt – zu schwach ist. Bessern wir also nach und investieren wir rasch mehr Mittel in die Stärkung unserer Armee!

Statt mit weit geöffneten Augen wie gelähmt der Aussicht auf einen dritten Weltkrieg entgegenzusehen, heisst es jetzt: Zusammenrücken, Kräfte bündeln und Sicherheit priorisieren – als Grundlage dafür, dass wir uns weiterhin frei bewegen und uns persönlich entfalten können. Denn ohne Sicherheit garantiert keine Freiheit!

 

Herausforderungen machen Sorgen

Hochvertraute, liebe Mitlandleute. Gefühlt ist die Flut an düsteren Nachrichten immens. In den vielen Kriegen auf diesem Planeten bricht unsägliches Leid über tausende Menschen herein. Das führt zu Flüchtlingsströmen, die kaum zu bewältigen sind.

Geopolitisch kommt es zu groben Verschiebungen. Gerade einmal 13 Prozent der Weltbevölkerung leben noch in liberalen Demokratien. Das spaltet die Weltgemeinschaft und stellt alte Sicherheitsgarantien für uns ernsthaft in Frage.

Naturgewalten bringen Leid und Zerstörung. Wir mussten das hier im Kanton beim Erdrutsch an der Wagenrunse in Schwanden im August selber (mit)erleben. In selten dagewesenem Ausmass. Das führt einem eindrücklich vor Augen, wie verletzlich unser Dasein auf der Erde ist.

Andere Eruptionen wie jene in der Schweizer Finanzindustrie – veranlasst durch Exzesse unersättlicher Spekulanten – deformieren die hiesige Bankenwelt. Das befeuert in der Folge den Regulierungswahn, lähmt die Wirtschaft und gefährdet letztlich unseren Wohlstand.

Auch Klimaveränderung, Kaufkraftverlust, Überalterung, Strukturwandel oder Dichtestress sind weitere von vielen Stichworten, die ich hier aufzählen könnte, weil sie uns Sorgenfalten auf die Stirn zeichnen.

 

Chancen erkennen und packen

Obendrein erleben wir in Gesellschaft und Politik eine Polarisierung, welche das Progressive bremst. Statt mehrheitsfähige Ideen zu entwickeln, schüren gewisse Kräfte das Denken in Extremen. Vielleicht, um Profit aus dem Unfrieden ziehen zu können, vielleicht um die eigenen Machtgelüste zu befriedigen – sie treiben es voran, statt die Vielfalt zu fördern, welche die Schweiz ausmacht und Basis ist für den Fortschritt.

Diese Polarisierung – es braucht sie nicht! Nicht in zwei und schon gar nicht in drei Polen. Was es braucht, um nachhaltige Lösungen für all die grossen Herausforderungen unserer Zeit zu finden, ist das Miteinander.

Hören wir einander zu, nehmen wir einander wahr, erkennen wir Chancen und packen wir sie zusammen an! So können wir die Welt positiv verändern. Es ist eindeutig der Dialog, der eine sinnstiftende Politik hervorbringt.

 

Verantwortung wahrnehmen, Dialog leben

Die Politik, meine Damen und Herren, die Politik – das ist nicht der Landammann, das ist nicht der Bundesrat, der Regierungsrat, der Landrat oder der Gemeinderat.  Die Politik, das sind wir alle!

Indem wir alle uns über Ideen und Perspektiven austauschen, können wir neue Einsichten gewinnen, Vorurteile abbauen und Toleranz aufbauen. Der Dialog hilft beim Anerkennen und Respektieren der vielfältigen Meinungen und beim friedlichen Lösen von Konflikten.

Indem wir alle miteinander kommunizieren, können wir Missstände aufdecken, Verantwortlichkeiten klären und das Einhalten demokratischer Prinzipien sicherstellen. Der Dialog schafft also Transparenz, schützt und stärkt unsere Demokratie.

Indem wir alle mitdiskutieren, können wir politische Entscheidungen beeinflussen und die Richtung der Gesellschaft mitgestalten. Der Dialog fördert die aktive Teilnahme am demokratischen Prozess, politische Entscheidungen werden dadurch legitimiert und ihre Umsetzung erleichtert.

Heute an der Landsgemeinde setzen wir das um. Wir nehmen unsere Verantwortung wahr und leben ihn, den Dialog! Wir richten den Blick zuversichtlich nach vorne und lenken die Aufmerksamkeit auf Projekte und Aufgaben, die wir gemeinsam verwirklichen wollen. Es wird beim Debattieren und beim Entscheiden eine wohltuende Erkenntnis sein, dass Verantwortung im Kleinen beginnt und Grosses bewirkt.

 

Gedenken an alt Landammann Fritz Weber

Zu den Menschen, welche zeitlebens grosse Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen und den Dialog ins Zentrum stellen, gehörte alt Landammann und Regierungsrat Fritz Weber-Worni. Er hat am 16. Dezember 2023 im 93. Lebensjahr seine letzte Reise angetreten.

Während stolzen 18 Jahren gehörte er ab 1978 dem Regierungsrat an. Und zwar über alle Jahre in der Funktion des Erziehungsdirektors. Von 1986 bis 1990 amtete er als Landammann – während einer Legislatur, die von einer Totalrevision der Kantonsverfassung geprägt war, und die er selber eng begleitet hat.

Parallel zu seiner Regierungstätigkeit wirkte Fritz Weber lange Jahre als Gemeindepräsident von Netstal und wirkte zuvor im Landrat, den er 1974/75 präsidierte.

Noch weit über die Pensionierung hinaus engagierte sich Fritz Weber mit Verve für die Öffentlichkeit. Für alles, was er für Land und Volk unseres Kantons geleistet hat, wollen wir ihm dankbar ein ehrendes Andenken bewahren.

 

Würdigung Martin Landolt und Thomas Hefti

Ein grosses Dankeschön für ihre Arbeit im Dienst von Land und Volk schenken wir heute den beiden Bundesparlamentariern, die sich Ende letztes Jahr von der politischen Bühne zurückgezogen haben.

Martin Landolt wirkte während fast 15 Jahren als Vertreter des Kantons Glarus im Nationalrat. Ab dem Frühjahr 2009 bis Ende letzten Jahres. In Bundesbern arbeitete er in verschiedenen Kommissionen mit, parallel dazu präsidierte er während mehrerer Jahre seine Partei auf schweizerischer Ebene.

Thomas Hefti wurde 2014 in den Ständerat gewählt und vertrat unseren Kanton ebenfalls bis Ende letzten Jahres in der Kleinen Kammer. Neben der Tätigkeit in verschiedenen Kommissionen präsidierte er 2022 die Finanzdelegation der eidgenössischen Räte, und als Höhepunkt seiner politischen Karriere im Präsidialjahr 2021/22 den Ständerat.

Thomas Hefti und Martin Landolt haben unseren Kanton auf eidgenössischer Ebene stets mit Herzblut vertreten. Sie haben mitgeholfen, wichtige Weichen für unsere Region zu stellen, insbesondere für eine geschickte Erschliessung.

Beide werden ihre vielfältigen Aktivitäten nun vor allem ausserhalb des politischen Lebens pflegen. Wir wünschen ihnen dabei viel Freude und Erfolg.

 

Das Leben hier soll ein Erlebnis bleiben

Hochvertraute, liebe Mitlandleute, lassen Sie uns jetzt raten, mindern und mehren. In Freiheit und Verantwortung. Es gelingt uns bestimmt auch heute, die traktandierten Wahl- und Sachgeschäfte zum Nutzen und Gedeihen unseres Kantons zu meistern.

In wenigen Augenblicken werden wir ausserdem den neu gewählten Regierungsrat Thomas Tschudi vereidigen, der das Gremium nach meinem Ausscheiden wieder komplettiert. So geht mit dem heutigen Tag meine Amtszeit als Landammann und Regierungsrat zu Ende. Ich habe diese Ämter unglaublich gerne und mit voller Kraft ausgeübt und nehme die Energie jetzt mit nach Bern.

Eine ganz besondere Ehre ist und war es mir, der Landsgemeinde vorstehen und sie leiten zu dürfen. Das ist wohl das Grösste, was ein Politiker erleben kann. An dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich für das Vertrauen bedanken, das Sie mir hierbei und in den vergangenen zehn Jahren meiner Regierungstätigkeit geschenkt haben.

Ich wünsche mir, dass Sie dies auch mit meinem Nachfolger so halten. Und ich wünsche mir, dass wir die Kultur des konstruktiven Dialogs gemeinsam weiterleben, die so wichtig ist, damit das Leben auf diesem wunderbaren Flecken Erde ein Erlebnis bleibt.

In diesem Sinn bitte ich für Land und Volk von Glarus um den Machtschutz Gottes und erkläre die Landsgemeinde 2024 als eröffnet.