Traktandum 1
Eröffnung der Landsgemeinde
Eröffnung der Landsgemeinde
Hochgeachteter Herr Landesstatthalter Hochgeachtete Damen und Herren der administrativen und richterlichen Behörden Hochvertraute, liebe Mitlandleute
Ich freue mich, auch heute das Glarner Volk wieder versammelt zu sehen, um unter freiem Himmel zu raten, zu mindern und zu mehren.
Vor wenigen Tagen feierte Glarus die vor 600 Jahren erhaltene Reichsfreiheit. Am 22. April 1415 stellte der König des Heiligen Römischen Reichs den Glarnern eine Urkunde aus. Glarus wurde „reichsfrei“ oder „reichsunmittelbar“ und hatte fortan das Recht, über Leben und Tod selber zu richten. Das Land Glarus pflegt eine lange Tradition jährlicher Festakte und Jubiläumsfeiern zu historisch erlangten Freiheiten; eine Erinnerungskultur, die uns diese Freiheiten und die Vergangenheit im Bewusstsein halten und vergegenwärtigen.
Der Philosoph Odo Marquard hat es treffend in Worte gefasst: „Zukunft braucht Herkunft“. Das Neue, das wir suchen, braucht das Alte. Wir werden heute raten, mindern und mehren. Am Ende des Tages werden wir vielleicht – anders als in anderen Jahren – keine Quantensprünge erreicht haben. Aber wir werden auch heute bestimmen und bewegen. Und wir werden Altes, Bewährtes in Ehren halten. Wir pflegen Form und Formeln unserer Landsgemeinde und lassen mit Verantwortungsgefühl Neues entstehen. Die Vertrautheit unserer Rituale – wie den Einzug auf den Ring, das Schwören des Eides zum Vaterland, die formalisierte Anrede sowie das Gebot eines kurzen Votums – ermöglicht Rednern und Zuhörern, Befürwortern und Gegnern, den jeweiligen Anliegen und Argumenten mit gegenseitigem Respekt zu begegnen.
Wie steht es um die Freiheit im Lande Glarus heute? Die Denkfabrik Avenir Suisse hat die Freiheit in den Schweizer Kantonen verglichen. Glarus liegt auf Rang 3 im interkantonalen Vergleich. Nicht in allen Kantonen der Schweiz sind die Bürgerinnen und Bürger offenbar gleich frei, wobei die Differenzen im Alltag wenig spürbar sind.
Dem Freiheitsbegriff liegen heute etwa die Kantonsfinanzen oder das Ausmass gesetzlicher Regulierungen zugrunde. Das ist eine ganz andere Definition als noch vor einigen hundert Jahren. Es sind nicht mehr Leib und Leben, welche wir geschützt haben wollen: Wohlstand und die Erfüllung individueller Ansprüche sind die Gradmesser unserer Freiheit. Über die Bedeutung solcher Studien und Vergleiche lässt sich sicher streiten. Das Vergleichen mit Anderen ist für unsere Zeit aber typisch. Alles und jeder steht im Wettbewerb. Diese Vergleiche bergen allerdings immer auch die Gefahr, dass wir uns zu stark auf andere beziehen.
Forscher haben 158 Länder auf Faktoren wie Einkommen, Lebenserwartung, soziales Netz und gefühlte Freiheit verglichen. Die Schweiz ist gemäss diesem Index das glücklichste Land der Welt. Dieses Ranking darf nicht stolz als Trophäe präsentiert werden. Angesichts von Krieg und Gewalt in dieser Welt, von Flüchtlingsströmen, Katastrophen und Elend wäre das überheblich. Es zeigt aber, auf welch hohem Niveau wir oftmals jammern. Wir sind frei, die Geschicke unseres Kantons zu bestimmen, frei, uns in diesem Ring zu versammeln. Wir können uns tatsächlich glücklich schätzen: Vielleicht sind wir es nicht jeden Tag, aber wir haben heute und an vielen anderen Tagen, immer wieder von neuem die Möglichkeit, unseres Glückes Schmid zu sein.
Oswald Sigg, früherer Bundesratssprecher, erklärte unlängst in einem Interview zur Frage, wie er die Landsgemeinde finde: „Ja, die Landsgemeinde – die ist gut. Sie ist ein politisches Kulturdenkmal, das gepflegt werden sollte.“. So sehe ich das auch: Unsere Landsgemeinde ist eine vielgelobte Besonderheit, gelebte Kultur – nicht bloss Denkmal. Sie ist Herkunft und jährlich gehen wir mit ihr ein Stück weiter in die Zukunft.
Hochvertraute, liebe Mitlandleute
Bevor wir uns der Behandlung der diesjährigen Landsgemeindegeschäfte zuwenden, wollen wir noch in Dankbarkeit einer verstorbenen Persönlichkeit gedenken.
Am 15. November 2014 verstarb Baumeister, Unternehmer und Politiker This Jenny. Er diente der Öffentlichkeit in vielfältiger Weise. Im Ständerat vertrat er den Kanton Glarus von 1998 bis zu seinem Rücktritt im Frühling 2014. Dem Landrat gehörte er von 1994 bis 2014 an, dem Gemeinderat Glarus von 1986 bis 2000.
Seine treffenden, immer von Humor geprägten Voten – auch hier im Landsgemeindering –, werden uns sehr fehlen. Wir erlebten ihn als offenen, unabhängigen Politiker, der seiner Herkunft immer treu blieb. Trotz seines grossen beruflichen Engagements setzte er sich immer auch „für Land und Lüüt“ ein.
Im Land Glarus wird This aber nicht nur als Politiker, sondern auch als grosszügiger und fürsorglicher Mensch in Erinnerung bleiben.
Hochvertraute, liebe Mitlandleute
Lassen Sie uns jetzt raten, mindern und mehren. In Freiheit und Verantwortung.
Ich bitte für Land und Volk von Glarus um den Machtschutz Gottes und erkläre die Landsgemeinde 2015 als eröffnet.