Traktandum 18
A. Änderung der Verfassung des Kantons Glarus
B. Einführungsgesetz zur Schweizerischen Strafprozessordnung und zur Schweizerischen Jugendstrafprozessordnung (neu)
C. Gesetz über die Anpassung des kantonalen Rechts an die Schweizerische Strafprozessordnung und Schweizerische Jugendstrafprozessordnung
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Die Landsgemeinde folgt dem Antrag des Landrates.
Die Vorlage zur Einführung der neuen Bundesstrafprozessordnung (StPO) und der neuen Jugendstrafprozessordnung bringt ein einheitliches Strafverfahren gegenüber Erwachsenen und Jugendlichen. Die 26 kantonalen Regelungen und drei Bundeslösungen werden aufgehoben. Die Kantone müssen kein Verfahrensrecht mehr erlassen; hingegen sind die Zuständigkeiten der Strafverfolgungs- und Gerichtsbehörden in einem Ausführungserlass festzulegen. – Die Revision wird genutzt, um weitere organisatorische Vereinfachungen und Verbesserungen vorzunehmen und das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch zu überarbeiten; veraltete und teils bundesrechtswidrige Übertretungstatbestände werden zugunsten aktuellerer ersetzt. Neben Kantonsverfassung und neuem Einführungsgesetz werden deshalb zwölf kantonale Gesetze angepasst.
Kernerlass ist das 38 Artikel umfassende Einführungsgesetz zur Schweizerischen Strafprozessordnung und Schweizerischen Jugendstrafprozessordnung (EG StPO). Es löst die kantonale Strafprozessordnung ab. Es beinhaltet in Übereinstimmung mit der Verwaltungsorganisation die grundsätzlichen Bestimmungen zur Strafverfolgung (Grundzüge Organisation, Wahl Staatsanwälte, Garantie Unabhängigkeit, Aufsicht usw.). Die detaillierte Organisation ist Aufgabe des Regierungsrates. Die Änderungen im Justizbereich erfordern Anpassungen der Kantonsverfassung und des Gerichtsorganisationsgesetzes.
Es wird das Staatsanwaltschaftsmodell als einheitliches Strafverfolgungsmodell eingeführt. Die Staatsanwaltschaften leiten das polizeiliche Ermittlungsverfahren, führen die Untersuchung durch, erheben die Anklage und vertreten diese vor den Gerichten. Organisatorisch gehört die Staats- und Jugendanwaltschaft zur Verwaltung. Sie untersteht der Aufsicht des Regierungsrates und dem kantonalen Personalrecht. Ihr kommt kein Behördenstatus mehr zu. Die Wahl der Staatsanwälte erfolgt nicht mehr durch die Landsgemeinde, sondern durch den Landrat auf Amtsdauer; dies um ihre Unabhängigkeit zu gewährleisten. Ebenfalls bezeichnet der Landrat den Ersten Staatsanwalt.
Die Untersuchungs- und die Anklagefunktion muss künftig dieselbe Stelle, die Staatsanwaltschaft, ausüben. Heute sind sie auf das Verhöramt (Untersuchung) und die Staatsanwaltschaft (Anklage) verteilt. Das Jugendanwaltmodell wird weitergeführt: Klärung des Sachverhalts, Erlassen der Strafbefehle und Urteilsvollzug sowie Vertretung der Anklage vor Jugendgericht. Die Jugendanwaltschaft wird mit der Staatsanwaltschaft zur Hauptabteilung «Staats- und Jugendanwaltschaft» vereint. Diese besteht aus dem Ersten Staatsanwalt und den weiteren Staats- und Jugendanwälten; dafür sind 3,6 Stellen (nebst administrativem Personal) vorgesehen. Neu sind die Staatsanwälte für Administrativmassnahmen im Strassenverkehr (mit Beurteilung des Straffalles) zuständig.
Die Verteidigungsrechte werden durch die Zulassung des «Anwalts der ersten Stunde» und die Belehrungspflicht im polizeilichen Ermittlungsverfahren verstärkt. – Für Genehmigung und Anordnung einschneidender Massnahmen ist als Gegengewicht zu Polizei und Staatsanwaltschaft ein Zwangsmassnahmengericht vorzusehen. Es ist u.a. zuständig für Anordnung und Kontrolle der Untersuchungs- und Sicherheitshaft. Das Rechtsmittelsystem wird vereinfacht: Die Berufung bildet das ordentliche Rechtsmittel. Daneben sind Beschwerde und Revision vorgesehen. Neu beurteilt der Staatsanwalt (statt der Kantonsgerichtspräsident) erstinstanzlich Übertretungen.
Weitere Gesetzesanpassungen
Im Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch werden vor allem die kantonalen Übertretungstatbestände überarbeitet. So werden unter anderem anstelle des Ungehorsams Nichtbefolgung von Anordnungen, Ruhestörung, Verletzung von Sitte und Anstand, grober Unfug, Halten gefährlicher Tiere, «Littering» oder Plakatentfernung als kantonale Übertretungstatbestände genannt; Schmutz- und Schundliteratur gibt es als Übertretungstatbestand nicht mehr.
Zudem sind Personalgesetz (Wahl Staats- und Jugendanwälte), Gemeindegesetz (Zwangs- und Strafbefugnisse Gemeindebehörde), Verwaltungsrechtspflegegesetz (Verfahrensdisziplin), Anwaltsgesetz, Polizeigesetz (Verfahren bei häuslicher Gewalt), Steuergesetz, Einführungsgesetz zum Bundesgesetz über den Strassenverkehr (Administrativmassnahmen) sowie zwei weitere Einführungsgesetze (Arbeitssicherheit, Krankenversicherung) anzupassen.
Zu diskutieren gab im Landrat die Wahl der Staats- und Jugendanwälte; ein Antrag wollte diese – wie in der Verwaltung üblich – dem Regierungsrat zuweisen. Der Landrat schied jedoch wie Regierungsrat und Justizkommission diese Kompetenz dem Landrat zu, um die Unabhängigkeit von Staats- und Jugendanwaltschaft zu gewährleisten. Der Landrat beantragt der Landsgemeinde, der Vorlage zuzustimmen und per 1. Januar 2011 in Kraft zu setzen.
- Stefan Müller
- Näfels
Stefan Müller beantragt, dass die Wahl der Staatsanwälte weiterhin durch die Landsgemeinde erfolgen soll. Die Unabhängigkeit der Staatsanwälte sei wichtig und deren (Wieder)wahl dürfe nicht von gewissen einflussreichen Politikern beeinflusst werden. In einem kleinen Kanton wie Glarus sei diese Unabhängigkeit noch viel wichtiger und deshalb zu bewahren.
- Marco Hodel
- Landrat, Glarus
Landrat Marco Hodel beantragt, dem Memorialsantrag unverändert zuzustimmen. Eine Druckausübung auf den Staatsanwalt sei vehement zu verurteilen. Ein solches Gebaren sei durch Massgabe der Verfassung und von Gesetzes wegen verboten. Druckversuche kämen jedoch unabhängig zustande, ob ein Staatsanwalt durch die Landsgemeinde oder den Landrat gewählt werde. Aufgrund der neuen Strafprozessordnung würden neu anstatt eines Staatsanwalts in Teilzeit mehrere Staatsanwälte im Vollpensum angestellt. Dies erfordere eine Neuregelung und spreche für die Wahl der Staatsanwälte durch den Landrat. Die vorgesehene Regelung der Wahl der Staatsanwälte durch den Landrat beinhalte die Flexibilität der kurzfristigen Neubesetzung einer vakanten Stelle und eine professionelle Evaluation der Kandidaten.
- Hans Jörg Riem
- Glarus
Hans Jörg Riem stellt den Antrag, die Kompetenz zur Wahl des Staatsanwalts an den Regierungsrat zu übertragen. Die persönlichen Fähigkeiten der Kandidaten und Kandidatinnen sollten vom Regierungsrat in einem vertraulichen, diskreten und schnellen Verfahren abgeklärt werden können. Der Regierungsrat habe seine Kompetenz dazu in der Vergangenheit mehrmals bei der guten Wahl von Hauptabteilungsleitern unter Beweis gestellt.
- Markus Rhyner
- Landrat, Elm
Landrat Markus Rhyner beantragt, dem Memorialsantrag unverändert zuzustimmen. Die vorgesehene Lösung, wonach der Landrat neu die Staatsanwälte wählt, sei aufgrund der höheren Flexibilität bei der Stellenbesetzung und der besseren Beurteilung der Fachkompetenz der heutigen Regelung zu bevorzugen.
- Andrea Bettiga
- Regierungsrat, Ennenda
Regierungsrat Andrea Bettiga bezeichnet die Vorlage als massgeschneiderte, schlanke und effiziente Lösung. Betreffend Wahl des Staatsanwaltes sei ein richtiges Auswahlverfahren nötig, um die fähigsten Kandidaten auswählen zu können. Die Landsgemeinde sei für die Wahl der Strafverfolgungsbehörden nicht mehr das richtige Gremium, da sie nur einmal im Jahr stattfindet. Mit dem Landrat als Wahlgremium werde der Mittelweg zwischen der Landsgemeinde und dem Regierungsrat beschritten, da die demokratische Legitimation des Landrates grösser sei. Die Einflussnahme von Landräten auf die Arbeit von Staatsanwälten sei gesetzlich streng verboten, zudem werde die Unabhängigkeit der Strafverfolgungsbehörden durch die Amtsdauer von vier Jahren massgeblich gestärkt.