Hochgeachteter Herr Landesstatthalter
Hochgeachtete Damen und Herren der administrativen und richterlichen Behörden
Hochvertraute, liebe Mitlandleute
Jedesmal, wenn wir uns hier als stimmberechtigte Glarnerinnen und Glarner im Ring versammeln – jedesmal, wenn wir hier unter freiem Himmel und im Kranz der Berge die politischen Weichen unseres Kantons stellen – jedesmal dann spüren wir ganz genau: Jetzt wird es Frühling!
Heute ist es, wenn wir dem Kalender glauben wollen, ein bisschen anders: Wir tagen und entscheiden im Vorwinter. Zustande gekommen ist die heutige ausserordentliche Landsgemeinde, die erste seit über 120 Jahren, durch Begehren von mehr als 2000 Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern. Das Recht und die Möglichkeit dazu gab ihnen Artikel 63 Abs. 3 der Kantonsverfassung – eine Bestimmung, die auch im heutigen Verfassungsrecht trotz ihrer äusserst seltenen Anwendung ihre uneingeschränkte Gültigkeit besitzt. Diese Tatsache steht zweifelsfrei fest.
Wenn zu diesem Vorgehen trotzdem Bedenken geäussert worden sind, so haben sie vor allem mit dem Anliegen zu tun, die Beständigkeit von Landsgemeindeentscheiden möge nicht unbedacht aufs Spiel gesetzt werden. Auch dazu ist festzuhalten, dass rechtlich betrachtet dem Wiederaufrollen von Landsgemeindebeschlüssen keine Grenzen gesetzt sind, auch keine zeitlichen. Wohl aber lässt sich staatspolitisch postulieren, dass von diesem Weg auch künftig kein unbesehener Gebrauch gemacht werden sollte, und zwar auch in Fällen, in denen die Landsgemeinde eher knapp entschieden hat. In diesem Sinne ist es zu begrüssen, dass die Urheber der heutigen ausserordentlichen Landsgemeinde geltend machen, es gehe auch aus ihrer Sicht um einen aussergewöhnlichen Fall, der sich von den Mechanismen der Landsgemeinde her nicht häufen solle.
Regierung und Landrat bringen in diesem Sinne den Initianten Respekt entgegen, und sie versuchten dies auch mit der speditiven Anberaumung und Vorbereitung der heutigen ausserordentlichen Landsgemeinde zu beweisen. Der Respekt von Regierung und Landrat gilt indessen zuallererst dem Volksentscheid der Landsgemeinde 2006, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil ja die letztjährige Landsgemeinde nicht etwa dem behördlichen Antrag zugestimmt, sondern mit dem Ja zum Dreiermodell ihren eigenständigen Willen bekundet hat.
Es war und ist für Regierung und Landrat eine demokratische Selbstverständlichkeit, diesen Volkswillen zu respektieren und bestmöglich umzusetzen. An dieser Aufgabe haben sich in der Zwischenzeit viele konstruktive Kräfte auf Gemeinde- und Kantonsebene mit grossem Einsatz beteiligt, und dafür gebührt ihnen der Dank der Landsgemeinde. Naturgemäss hat die Diskussion zu den Einzelfragen des Dreiermodells auch zu mancherlei Kontroversen geführt, wie das zu einem derartigen politischen Prozess gehört. Festzuhalten ist indessen, dass alle massgeblichen Entscheidungen dazu bei den entsprechenden Ausführungserlassen wiederum dem Volk selber zustehen, sei es bei den entsprechenden Gesetzesrevisionen an der Landsgemeinde – oder sei es dann in den neuen Gemeinden selber.
Insgesamt jedenfalls sind Regierung und Landrat auf dem Weg zum Dreiermodell auch inhaltlich zur Überzeugung gelangt, dass dieses Modell, auch wenn es ursprünglich nicht das ihrige war, richtig und zweckmässig für eine zukunftsgerechte Gestaltung unserer überschaubaren glarnerischen Strukturen sei – und umso mehr empfehlen sie der heutigen ausserordentlichen Landsgemeinde, konsequent beim Volksentscheid vom 7. Mai 2006 zu bleiben.
Konkret liegen der heutigen Landsgemeinde zwei Begehren von Bürgerseite vor: erstens der Antrag, den Volksentscheid zum Dreiermodell wieder aufzuheben, und zweitens die allgemeine Anregung, der Kanton Glarus solle nur noch aus einer einzigen Gemeinde bestehen. Regierung und Landrat beantragen, beide Anträge abzulehnen und an der letztjährig beschlossenen Vorlage unverändert festzuhalten. Das bedeutet auch, dass die vorberatenden Behörden empfehlen, von anderweitigen Anträgen abzusehen respektive ihnen nicht zu folgen. Trotzdem stellt sich die Frage, welche Anträge heute zulässig oder nicht zulässig sind, und ich erlaube mir, dazu an dieser Stelle einige Hinweise zu machen.
Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist, dass die Kantonsverfassung für eine ausserordentliche Landsgemeinde zur Behandlung von Anträgen keine speziellen Regelungen vorsieht, dass demzufolge also dieselben Regeln gelten wie an einer ordentlichen Landsgemeinde. Zur Anwendung kommen also namentlich die Absätze 2 und 3 von Artikel 65 der Kantonsverfassung.
In Absatz 2 ist das Recht verankert für Anträge (ich zitiere) «auf Unterstützung, Abänderung, Ablehnung, Verschiebung oder Rückweisung». Auf dieser Basis und in Respektierung des Entscheidungsspielraums der Landsgemeinde ist es heute zulässig, zum Landsgemeindeentscheid von 2006 nicht nur Festhalten oder Aufhebung zu beantragen, sondern auch Änderungen am damaligen Beschlussestext, soweit sie klar spezifiziert formuliert sind – und zwar sowohl zur Zahl der Gemeinden wie auch zu anderen Bestandteilen der damaligen Vorlage. Wenn heute solche Anträge gestellt würden, so wären sie im Abstimmungsprozedere zunächst der unveränderten Vorlage von 2006 gegenüberzustellen – und das Ergebnis daraus stünde dann in der dem Antrag auf völlige Aufhebung des letztjährigen Entscheides gegenüber. Zuallererst freilich wäre über allfällige Rückweisungs- respektive Verschiebungsanträge zu entscheiden. Dazu mache ich Sie darauf aufmerksam, dass nach einem Rückweisungs- oder Verschiebungsbeschluss einstweilen das bestehende, von der Landsgemeinde 2006 beschlossene Recht weitergelten würde.
Sodann weise ich Sie darauf hin, dass es nach geltender Kantonsverfassung nicht zulässig wäre, den heutigen Beratungsgegenstand an die Urne zu überweisen; ein solches Vorgehen käme nur nach einer vorgängigen Änderung der Verfassungsbestimmungen über die politischen Rechte, die nicht Gegenstand der heutigen Landsgemeindetraktanden sind, in Betracht. Dementsprechend dürfte und könnte heute ein allfälliger Antrag auf Überweisung an die Urne nicht zur Abstimmung gebracht werden, beziehungsweise er wäre als Antrag auf Rückweisung zu behandeln.
Ebenso mache ich darauf aufmerksam, dass in der abschliessenden Aufzählung der Antragsmöglichkeiten, die ich Ihnen soeben aus der Kantonsverfassung zitiert habe, die Variante eines Nichteintretensantrages fehlt. Auch ein Nichteintretensantrag, der also darauf abzielen würde, die Behandlung des Komiteeantrages von vornherein zu verweigern, könnte daher heute nicht entgegengenommen werden.
Aufgrund von Artikel 65 Absatz 3 der Kantonsverfassung ist schliesslich zu beachten, dass Abänderungsanträge in einem sachlichen Zusammenhang zum Beratungsgegenstand stehen müssen. Der sachliche Zusammenhang besteht heute für beide Traktanden im Thema der Anzahl Gemeinden und der damit verbundenen Modalitäten. Dieser sachliche Zusammenhang würde aber beispielsweise gesprengt durch einen Antrag, der die Staatsebene der Gemeinden völlig beseitigen wollte, also auf null Gemeinden abzielen würde; ein solcher Antrag könnte heute nicht zur Abstimmung gebracht werden.
Ich danke Ihnen für die Beachtung dieses rechtlichen Spielraums, über den die Landsgemeinde heute verfügt. Ich danke Ihnen aber auch im Voraus dafür, wenn Sie in den anschliessenden Debatten bei aller Leidenschaft, die mit dem Thema verbunden ist, die Regeln der Fairness beachten und insbesondere von persönlichen Verunglimpfungen abzusehen. Ich ersuche die Mitlandleute, den jeweiligen Votantinnen und Votanten mit Ruhe und Anstand zuzuhören und dabei auf lautstarke Beifalls- oder Missfallenskundgebungen zu verzichten. Zugleich appelliere ich an die Votierenden, die Geduld der Landsgemeinde nicht allzu sehr zu strapazieren und die Wiederholung von bereits Gesagtem zu vermeiden. Und ich bitte die Mitlandleute jetzt schon, auch nach dem Abschluss von Traktandum 2 im Ring zu bleiben, bis wir gemeinsam auch noch das Traktandum 3 behandelt haben.
Vor allem aber richte ich an uns alle, die wir hier versammelt sind, den eindringlichen Appell, die heute fallenden Entscheide in Würde und demokratischem Respekt entgegenzunehmen und zu akzeptieren. Wie immer diese Entscheide lauten: Es muss unser gemeinsames Bestreben sein, entstandene Gräben zu überwinden und wieder gemeinsam nach vorne zu schauen. Die Glarner Landsgemeinde hat immer wieder bewiesen, dass sie das kann, und ich bin überzeugt, dass sie es auch heute kann, wenn alle dazu ihren Beitrag leisten. Denn wir müssen und wollen, was immer das Resultat der heutigen Beratungen ist, trotz dieses spätherbstlichen Tages im bildlichen Sinne für unseren Kanton durchaus sagen können: «Jetzt beginnt der Frühling!» In diesem Sinne stelle ich Land und Volk von Glarus unter den Machtschutz Gottes und erkläre die ausserordentliche Landsgemeinde des Jahres 2007 als eröffnet.